Gedenkstätte Hadersdorf: Erinnerungskultur statt Ignoranz

In Hadersdorf am Kamp wurden am 7. April 1945 63 politische Gefangene, die aus der Haftanstalt Stein entlassen wurden, von der SS Einheit 61 bestialisch umgebracht. Die Männer waren auf dem Weg nach Wien, wurden vom Volkssturm in Hadersdorf am Kamp gefangen genommen und im örtlichen Bauhof eingesperrt bis eine SS Einheit anrückte. Eigentlich wollten sie nur Ortsansässige nach der schnellsten Möglichkeit nach Wien zu kommen fragen. Am nächsten Tag wurden sie auf den örtlichen Friedhof getrieben, wo sie sich selbst ihr Grab, oder besser beschrieben eine Grube, schaufeln mussten und wurden anschließend massakriert. Am Hügel des aufgeschütteten Aushubs wurde ein Maschinengewehr platziert, wer durch die Schussverletzung nicht zu Tode gekommen ist, wurde erschlagen. Die ein Jahr später durchgeführten Obduktionen am Landesgericht Wien lassen auch offen, ob einige nicht lebendig begraben wurden. 2 Männer, die glücklicherweise offizielle Entlassungsscheine hatten, wurden freigelassen und traten im Prozess als Zeugen auf. Die Vorgänge wurden ab 1947 gerichtlich untersucht, die namentlich bekannten Täter Josef Sumetzberger und Richard Kuen (‚Mitläufer‘ aus der Gemeinde Hadersdorf) wurden verurteilt. Die eigentlichen Täter wurden nie belangt. Sowohl Kreisleiter Anton Wilthum als auch Gauleiter Jury, die den Befehl zur Exekution gaben, entzogen sich der gerichtlichen Verfolgung durch Selbstmord. Auch für die Ausführung der Tötung musste sich niemand verantworten: Die SS-Einheit 61 und ihre Kommandierenden blieben anonym. 

Detaillierte Infos zu den ermordeten Widerstandskämpfern, ihren Namen (soweit diese bekannt waren) und ihren Biographien findet man auf der Webseite http://www.gedenkstaette-hadersdorf.at  

Eine kurze Chronologie der Ignoranz:
Seit 2006 haben die 61 Opfer des Massakers – auf Betreiben von Nachkommen – am Ort des Geschehens, dem Friedhof der Gemeinde, eine Gedenktafel. Allerdings werden sie bis heute schlicht als ‚Gefangene‘ tituliert. Die Tatsache, dass es sich bei den namentlich bekannten Ermordeten um politische Gegner des Naziregimes handelte, wollten die Gemeindevertreter damals nicht in Stein gemeißelt wissen, ebenso wenig wie die Beteiligung der örtlichen Bevölkerung an der Jagd auf die vom ‚Zuchthaus‘ Stein bereits entlassenen Häftlinge.

2015:
Immer wieder wird seither der Text der Tafel im Hadersdorfer Friedhof handschriftlich ergänzt. Es ist dann jeweils einige Tage zu lesen, dass hier politische Häftlinge umgebracht wurden, und die abschließende Aufforderung ‚Nie wieder!‘ wird sinnvoll ergänzt in ‚Nie wieder Faschismus!‘. Diese Ergänzungen, zuletzt auch in ‚unauslöschbarer‘ Farbe, werden mit verlässlicher Beharrlichkeit immer wieder (im Auftrag der Gemeindevertretung Hadersdorfs?) entfernt. Man wundert sich, dass den Auftraggebern Zensur so viel Zeit und Geld wert ist.
Mit ebensolcher Beharrlichkeit werden Wünsche antifaschistischer Organisationen – etwa im Gedenkjahr 2015 – zu Gesprächen über eine würdevolle Neugestaltung der Gedenkstätte ignoriert oder abschlägig beantwortet. Nicht genug damit, wird auf einen Beharrungsbeschluss des Gemeinderats verwiesen, wird geschrieben, die Gemeinde habe dafür keine Mittel, und mit rechtlichen Schritten gedroht, falls ‚eigenmächtig‘ Veränderungen vorgenommen werden sollten.

2016:
Um dem finanziellen Argument zu begegnen, wurden in einer gemeinsamen Kampagne der KZ-Verbände Niederösterreich und Wien Spenden gesammelt. Der benötigte Geldbetrag wurde aufgebracht, aber neuerliche Versuche, mit der Gemeindevertretung ins Gespräch zu kommen, wurden wieder einmal abgeschmettert. Diese unendliche Geschichte von ‚Ignoranz‘ durch ortsoffizielle Stellen legt den Verdacht nahe, dass aus Rücksicht auf Nachkommen der Täter die bösartige Schmähung der Opfer weiter betrieben wird.  Nichtsdestotrotz wurden 2 Tafeln in Auftrag gegeben.  

2017:
Am Sonntag, den 2. April 2017 fand die Gedenkfeier am Hadersdorfer Friedhof statt. Die neuen Tafeln, mit den Namen der 61 Ermordeten wurden präsentiert, da seitens der Gemeinde wieder keine Gesprächsbereitschaft stattfand, konnten die Tafeln nicht montiert werden. Daher wurde – so wie in den Jahren davor – die vorhandene Tafel mit den wichtigen Worten „politische“ und „Faschismus“ ergänzt. In diesem Jahr nur mit einem Filzstift.

In diesem Jahr kam es zu einer Anzeige gegen Unbekannt, durch einen besorgten Bürger, dem die „Sachbeschädigung“ der Tafel anscheinend ein wichtiges Anliegen war. Am 8. Mai 2017 – also am Tag, an dem Antifaschist_innen weltweit die Befreiung vom Nationalsozialismus feiern – wurde Christine P., Tochter eines der Ermordeten, als Zeugin vorgeladen und von der Polizei einvernommen. Aus Solidarität haben zahlreiche Antifaschistinnen und Antifaschisten Selbstanzeigen wegen Beitragstäterschaft gemacht. Darunter auch Albert Dlabaja, Vorsitzender des KZ-Verbandes NÖ und Dagmar Schindler, Obfrau des KZ-Verbandes Wien. Bis dato gibt es dazu keine Stellungnahme seitens der Staatsanwaltschaft.  

Gleichzeitig wurde auch ein offener Brief an die Gemeinde Hadersdorf am Kamp, die Bürgemeisterin Golda und Landeshauptfrau Mikl-Leitner verfasst und von Aktivistinnen und Aktivisten versendet. Darin wurde, unter anderem, noch einmal um ein Gespräch mit den Verantwortlichen der Gemeinde ersucht:  

Werte Frau Bürgermeisterin, werte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte: ermöglichen Sie allen ein Erinnern und kein Verdrängen. Ermöglichen Sie die neuen Tafeln in Ihrer Gemeinde anzubringen. 

Werte Frau Bürgermeisterin: Wir möchten Ihnen noch ein weiteres Gespräch anbieten und hoffen, Sie nehmen dieses Angebot bis Mitte Juni an. Wir werden die Tafeln mit den Namen der politisch Ermordeten anbringen. Aus Respekt vor den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Am besten mit Ihnen. 

Die Ermordeten erhielten ihre Namen wieder
Am 1. Juli 2017 montierten Antifaschist_innen am Friedhof in Hadersdorf am Kamp die zwei Gedenktafeln mit den Namen der von den Nationalsozialisten brutal ermordeten Widerstandskämpfer. Trotz jahrelanger Bemühungen des KZ-Verbandes Wien und Niederösterreich sowie des Vereins „Gedenkstätte Hadersdorf am Kamp“ weigerte sich die Gemeinde weiterhin, dieses Anliegen zu unterstützen.  

Zahlreiche Bemühungen und zuletzt Versuche der Volksanwaltschaft, die Gemeinde Hadersdorf zu gemeinsamem Vorgehen zu bewegen, wurden von der Bürgermeisterin ignoriert und jedes Gespräch verweigert. Es bestand leider kein Interesse an einer würdigen Lösung zur Umgestaltung der Gedenkstätte.  

Auf den neuerlichen Versuch in Form eines offenen Briefes im Mai dieses Jahres wurde von der Gemeinde Hadersdorf nicht reagiert. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner selbst regte Gespräche mit der Gemeinde Hadersdorf an, wie sie schriftlich mitteilte.  

Auch den offenen Brief, in dem die Gemeindevertretung informiert wurde, dass bis Ende Juni die neuen Tafeln im Friedhof angebracht werden ignorierte Frau Bürgermeisterin Golda inkl. der gesamten Gemeindevertretung. Somit wurden die Tafeln in Eigeninitiative montiert, leider ohne offizielle Unterstützung.  

Bis heute hängen die Tafeln nach wie vor an der Friedhofsmauer, in guter alter Tradition wurden aber an der ursprünglichen, durch die Gemeinde angebrachten Tafel, die Worte „politische“ und „Faschismus“ wieder entfernt.  

Christine P., Tochter des ermordeten Widerstandskämpfers Alois WESTERMEIER sagte abschließend dazu: „Nach all den Jahren den Namen meines Vaters endlich am Ort des Massakers lesen zu können und ihn nicht mehr als Sträfling, sondern als Widerstandskämpfer in der Öffentlichkeit benannt zu sehen, ist berührend. Vielen Dank für die Solidarität an alle Freund_innen und Unterstützer_innen der letzten Jahre.“  

Es bleibt abzuwarten wie das offizielle Hadersdorf auf die Eigeninitiative der KZ Verbände Niederösterreich und Wien reagiert. Wer glaubt, dass es sich hier um einen „Einzelfall“ im Rahmen der vielen Endphaseverbrechen der Nazis und ihrer Mitläufer handelt, irrt. Es gibt noch einige Massaker, die bis heute – 72 Jahre nach Niederschlagung der Nazidiktatur – immer noch ungeklärt sind, vielen Opfern fehlt bis heute ein würdiges Gedenken wie es die Widerstandskämpfer in Hadersdorf endlich erhalten haben. In Hadersdorf war unser Motto „Wir bleiben dran“, was auch weiterhin so sein wird, dass die neuen Tafeln hängen bleiben, ist nicht gesichert. „Wir bleiben dran“ wird auch für weitere Aktivitäten an anderen Orten gelten!  

Text aus: der neue Mahnruf 3/2017
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