Zusammenhänge erklären

Gespräch mit Buchautor und AHS-Lehrer Robert Krotzer über die Thematisierung des NS-Faschismus in österreichischen Schulbüchern. [Eine Rezension des Buches findet man hier]

Wie entstand die Idee, sich mit der Behandlung der NS-Zeit in den österreichischen Schulbüchern auseinanderzusetzen?
Die Idee entstand aus Gesprächen mit meinen Eltern und Großeltern und anderen Menschen dieser Generationen. Diese haben immer wieder erzählt, dass im Geschichtsunterricht ihrer Schulzeit keine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stattgefunden hat. Daraus entwickelte sich die Frage, was damals denn überhaupt in den Schulbüchern stand. Denn natürlich gibt es immer einen großen Unterschied zwischen dem, was in den Büchern steht und dem, was tatsächlich im Unterricht durchgenommen wird.

Zu welchen Ergebnissen bist du gekommen?
Das wichtigste Ergebnis findet sich im Titel meines Buches: Lange Zeit herrschte Schweigen vor. Es hat sehr lange gedauert, bis es zu einer Auseinandersetzung mit der NS-Zeit kam, die diesen Namen auch verdient. Erst ab den 1990er Jahren wurde infolge der Waldheim-Debatte auch in den Geschichtsbüchern eine intensivere Auseinandersetzung mit dem NS-Faschismus sichtbar. Dies ist allerdings kein überraschendes Ergebnis.

Gab es auch überraschende Erkenntnisse?
Am interessantesten war für mich, welche Rolle dem Großkapital in den Schulbüchern zugeschrieben wird. Dabei wurde beginnend mit den 1950er Jahren immer sehr klar benannt, dass etwa Siemens, Thyssen oder Krupp die NSDAP schon vor 1933 maßgeblich finanziert haben. Das hat durchaus korreliert mit der Darstellung der Verstaatlichten Industrie gewissermaßen als Lehre aus den Erfahrungen des Faschismus. Hier sieht man in den 1990er Jahren einen deutlichen Bruch. Gleichzeitig mit der Abwicklung der Verstaatlichten hallt in den Geschichtsbüchern der Siegeszug des Neoliberalismus wider und führt dazu, dass sich eine große Diskrepanz auftut. In etwa fünfzig Prozent der Schulbücher spielt die historische Rolle des Großkapitals nun für den Siegeszug des Faschismus gar keine Rolle mehr. Andere widmen sich dahingegen dem Thema noch genauer und behandeln dann endlich etwa auch die Rolle von Zwangsarbeitern für die Profite der Industrie.

Du bist selbst als AHS-Lehrer tätig. Wie sieht die Unterrichtspraxis zum Thema Faschismus im Hinblick auf aktuelle Lehrpläne aus?
Bei den Lehrplänen gab es lange Zeit ebenfalls große Versäumnisse. So wurde etwa das Thema „Massenvernichtung“ erst 1989 zum ersten Mal als Lehrstoff für die AHS-Oberstufen erwähnt – die Begriffe Holocaust oder Shoah wurden da aber immer noch nicht verwendet. Da hat sich natürlich in den vergangenen 25 Jahren einiges getan. Vieles blieb allerdings auch gleich. So bestimmt nach wie vor die Totalitarismusthese die Lehrpläne, die eine völlig undifferenzierte Auseinandersetzung mit diktatorischen Systemen unter der Klammer „Faschismus – Nationalsozialismus – Kommunismus“ vorsieht. Das wird auch in den Geschichtsbüchern oft direkt nebeneinander gestellt. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass der österreichische Lehrplan ein „Rahmenlehrplan“ ist, der fortschrittlichen LehrerInnen durchaus Möglichkeiten bietet, das Thema jenseits derartiger Vorgaben zu behandeln.

Welche persönlichen Erfahrungen hast du mit der Thematisierung der NS-Zeit im Unterricht?
Mir geht es immer darum, die Mechanismen aufzuzeigen, die hinter dem Faschismus stehen. Ich versuche also konkret zu benennen, welche Interessen hinter dem Aufstieg der NSDAP standen. Gleichzeitig versuche ich Querverbindungen zur Gegenwart herzustellen, die sich gerade aus der Auseinandersetzung mit den Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure ergeben. Denn das Problem bei der offiziellen Geschichtserzählung ist ja, dass in dieser der Nationalsozialismus – von „Faschismus“ ist dabei in den Schulbüchern ohnehin nie die Rede – 1933 quasi vom Himmel gefallen und 1945 wieder verschwunden ist. Abgesehen davon, dass das ahistorisch ist, ist eine derartige Erzählung jungen Menschen auch schwer zu vermitteln. Denn wenn das mit dem NS-Faschismus verbundene Leid nicht historisch eingebettet ist und dementsprechend erklärt wird, gibt es oft Abwehrreaktionen. Die SchülerInnen wollen sich nicht mit den NS-Verbrechen belasten, wenn sie keine Erklärung für deren Ursachen bekommen. Meiner Erfahrung nach steigt das Interesse an einer Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, wenn man die damaligen Ereignisse in größeren Zusammenhängen erklärt und auch aktuelle Bezüge herstellt. Ein anderes Beispiel ist die Auseinandersetzung mit dem Widerstand. Dabei kann den SchülerInnen vermittelt werden, dass die Menschen damals nicht ausschließlich in eine passive Rolle gedrängt wurden, sondern sich auch aktiv gegen den Faschismus wehrten. Auch hier kann man dann aktuelle Bezüge herstellen und etwa politisches Engagement thematisieren.

Zum Autor:
Robert Krotzer, geboren 1987 in Braunau am Inn, absolvierte an der Karl-Franzens-Universität Graz das Lehramtsstudium für Geschichte und Deutsch. Er ist AHS-Lehrer, unterrichtet am Institut für Pädagogische Professionalisierung und ist Gemeinderat der KPÖ Graz.

Text aus: der neue Mahnruf 2/2016
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