10. Oktober – woher und wohin?

Anmerkungen zu einer antifaschistischen Demonstration am 10. Oktober in Klagenfurt.
Von SISSI RAUSCH.

Sonntag, den 10. Oktober 2020 in Klagenfurt: rund zweihundert überwiegend junge Menschen folgen dem Aufruf slowenischer und anderer Studierendenorganisationen und demonstrieren gegen die Jubiläumsfeiern zur 100. Wiederkehr des Kärntner Plebiszits. Hauptlosung: Für einen antifaschistischen Konsens in Kärnten. Nicht zufällig, wie ein Blick auf die Tradition der Feiern zum 10. Oktober bzw. auf den politischen Charakter des sogenannten »Kärntner Abwehrkampfes« belegt:

Nach Ende des Ersten Weltkriegs war unklar, ob das überwiegend slowenisch besiedelte Gebiet Südkärntens bzw. das zweisprachige Gebiet Kärntens dem neuen Staat Deutschösterreich oder dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen angegliedert wird. Sowohl die provisorische Kärntner Landesversammlung, die ausschließlich von deutschnational orientierten Parteien gebildet wurde, als auch der slowenische Nationalrat in Ljubljana erhoben Anspruch darauf. Die folgenden Grenzscharmützel – von deutschnationaler Seite als »Abwehrkampf«, von slowenischer Seite als »Kampf um die Nordgrenze« bezeichnet – endeten mit einer Niederlage der Deutschnationalen, als reguläre Truppen des SHS-Staates eingriffen und die Kärntner Landeshauptstadt besetzten. Vom Obersten Rat der Alliierten aufgefordert, räumten sie diese wieder. Das umstrittene Gebiet wurde in zwei Zonen geteilt. Sollte sich in der südlichen Zone A die Mehrheit der Bevölkerung für Jugoslawien entscheiden, würde auch in der nördlichen Zone B eine Volksabstimmung stattfinden. Am 10. Oktober 1920 entschied sich jedoch die Mehrheit der Menschen in der Zone A für Österreich, das zu diesem Zeitpunkt kein »Deutsch« mehr im Namen hatte bzw. nicht mehr haben durfte, und so wurde in der Zone B gar nicht abgestimmt. Um der darauf einsetzenden verstärkten Germanisierungspolitik zu entgehen, emigrierten mehrere Tausend slowenische Kärntner und Kärntnerinnen in das jugoslawische Königreich oder wurden dazu gezwungen, darunter der Großteil der slowenischen Intelligenz. Soweit der Ablauf der Ereignisse in aller Kürze.

Das Datum 10. Oktober 1920 ist ein historischer Einschnitt, eine Zäsur, eine extra Zeitrechnung für Kärnten. Spätestens von da an hat sich der Kärntner Deutschnationalismus mit dem Nationalsozialismus verknüpft. Die zentrale Figur, politischer und militärischer Leiter des »Abwehrkampfes«, war Hans Steinacher, ab 1933 Leiter des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland und einer der umtriebigsten und höchstrangigen Nazis Österreichs. Die authentische Kurzbeschreibung des »Abwehrkampfes« hat er in seinem Buch »Sieg in deutscher Nacht« geliefert: »Hingegen spielte das Bekenntnis zu Österreich in unserem Abwehrkampf so gut wie keine Rolle … Es war mir stets eine unumstößliche Selbstverständlichkeit, den Abstimmungskampf nicht um den Anschluß Österreichs, sondern um die großdeutsche Zukunft zu führen. Die Stimmen für Österreich sollten die Anwartschaft auf die Heimkehr ins Reich wahren. Weil wir aber wegen der auf alldeutsche Umtriebe lauernden Interalliierten, vor allem der Franzosen, nicht in der Lage waren, Deutschland zu rufen, wir Österreich nicht sagen wollten, so wurde unser Kampfruf eben Kärnten.« Der Kärntner Heimatdienst hat ihm anlässlich des Jubiläumsjahres 2020 eine Gedenktafel errichtet. Der aus Steinachers vor dem Plebiszit und dafür gegründeten »Landesagitationsleitung« hervorgegangene Kärntner Heimatdienst bzw. Heimatbund ging nach dem »Anschluss« geschmeidig in Nazistrukturen über, und aus deutschnationalen Politikern wurden Nazifunktionäre: Rainer, Globočnik und Klausner spielten wichtige Rollen in der Vorbereitung der Machtübernahme durch die Nazis in Österreich (Globočniks Haupbetätigung war dann unter anderem Massenmord und Massenraub in Polen und anschließend in Oberitalien). Der Heimatdienst bzw. Heimatbund-Chef Alois Maier-Kaibitsch, seit 1934 NSDAP-Mitglied, nutzte diese Organisation als Stützpunkt für die illegale NSDAP. In der illegalen Gauleitung war er für das zweisprachige Gebiet zuständig und koordinierte später die Deportation slowenischer Familien. Er brachte es bis zum SS-Standartenführer.

Nach dem militärischen Ende des Nationalsozialismus wurden aus Nazifunktionären, so sie nicht nach Lateinamerika oder in den Selbstmord flüchteten, wieder deutschnationale Kärntner Patrioten. Steinacher wurde ÖVP-Mandatar. Ein Nazi namens Franz Koschier, seinerzeitiger Funktionär im okkupierten Kranj in Slowenien, wurde „Chefdramaturg“ von 10.-Oktober-Feiern nach 1945. Und Jörg Haider hat das, was »Abwehrkampf« und 10.-Oktober-Feiern an chauvinistischer Ideologie allen heutigen Versuchen von Reinwaschung zum Trotz transportieren, im Juli 1984 bei einer Festveranstaltung des Österreichischen Turnerbundes in St. Jakob/Šentjakob auf den Punkt gebracht: »Man darf sich aber nicht nur damit begnügen, daß dieses Land frei und ungeteilt bleibt. Dieses Land wird nur dann frei sein, wenn es ein deutsches Land sein wird!«

Von all dem war bei den diesjährigen offiziellen Events keine Rede. Im Gegenteil: Nach wie vor wird die offizielle Kärntner Post-Nazi-Gedenkpolitik vom zwanghaften Bemühen beherrscht, die Einbettung des Deutschnationalismus in die seinerzeitige nationalsozialistische Praxis zu ignorieren. Die vorherrschende Kärntner Gedenkpolitik beginnt am 10. Oktober 1920, macht einen weiten Bogen um die Nazizeit, registriert den antifaschistischen Widerstand im besten Fall vor den Gräbern der Opfer. Opfer-Täter-Umkehr kann in der Form eines Steinklotzes am Klagenfurter Domplatz besichtigt werden. Ein Anti-Partisanen-Denkmal, gespendet und gestaltet von Antidemokraten. Die deutschnationale und Nazi-affine »Stätte der Kärntner Einheit« im Hof des Landhauses wurde noch von keiner Landtagsfraktion in Frage gestellt.

Vor diesem Hintergrund fand die Demonstration für den antifaschistischen Konsens in Kärnten/Koroška statt, eine der zentralen Forderungen lautete »Weg mit den Feiern zum 10. Oktober, her mit einem Feiertag zum 8. Mai«.

Mehrere Millionen Euro hat die Landesregierung für die Jubiläumsfeiern zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung ausgegeben. Für diverse Veranstaltungen, offizielle Events, ganz viele Werbeeinschaltungen, und für das Herzstück des Ganzen, eine opulente Ausstellung der Auslassungen zum Thema ohne vorher/nachher. Dafür war sie eine Zeit lang die „höchste Ausstellung Österreichs“, weil sie nämlich auch knapp unterm Großglockner zu sehen war.

Für den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nazifaschismus hatte die Kärntner Landesregierung genau 0,00 Euro übrig.

Text aus: der neue Mahnruf 4/2020
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